„Genieße es!“

„Genieße es!“

Glanz und Elend: Vier Schwindegger beim Herrenchiemsee-Lauf 2021

Ja, es ist mal wieder Zeit für einen Laufbericht, für Läufe überhaupt. Eines vorneweg: Der Herrenchiemsee-Lauf am 25. September entpuppte sich als einer der schönsten der Region überhaupt. Dass ich dabei war, verdankte ich einem glücklichen Umstand, einer E-Mail im Posteingang.

Georg hatte mich vor Wochen schon gefragt, ob ich nicht auch am Chiemsee starten wolle. Hatte nur dankend abgewunken wegen der üblichen Gründe: Rekord-Übergewicht, völlig außer Form, mentale Blockade. Hatte nur vergessen, dass ich mich im April 2020 für den Lauf am Chiemsee angemeldet hatte. Am 23. September dieses Jahres fragte mich meine Frau heimtückisch lächelnd, ob ich die E-Mail mit Teilnahmebestätigung samt Startnummer schon gesehen habe. Hatte ich nicht.

Kneifen ging also nicht mehr. Fuhr also mit Michi und Georg mit. Unsere Ziele waren etwas unterschiedlich: Die beiden wollten unter 1:50 laufen, ich irgendwie ins Ziel kommen. Grundsätzlich fand ich die Veranstaltungsidee – Halbmarathon auf Insel – etwas bescheuert, aber immerhin: Das Wetter war toll, wir hatten im Vereinsbus viel Platz.

In Prien war erwartungsgemäß die Hölle los. Wie Mückenschwärme überfielen die Touris See, Ort und Ufer. Zum Glück wies ein freundlicher Ordner uns in einen Notparkplatz auf der grünen Wiese ein. Leider nahm keine Sau Notiz von uns. Völlig unerkannt gingen wir rüber zum Hafen, die Startnummern holen, Tickets für die Schifffahrt kaufen.

Registrierung ging erfreulich reibungslos. Perso und Impfnachweis via Smartphone zeigen – fertig. Meine Stimmung wurde noch besser, weil der Herrenchiemsee-Lauf das bot, was virtuell halt nicht möglich ist: Man trifft, spricht und schwitzt mit Menschen.

Am Ufer trafen wir Thomas, der früher viel für den SV Schwindegg lief. Auch das erlebt man nur live: das läufer-typische Understatement. Nein, er sei seit Monaten nicht gelaufen, das Knie. Nein, er werde sicher nicht starten. Was ihn zwei Stunden später nicht daran hinderte, mich auf der Strecke zu demütigen.

Auf dem Schiff musste ich mir eingestehen: Doch ganz schön, mal über den See zum Start zu fahren. Vroni aus Velden sprach uns an, weil Georg das SV Schwindegg-Laufshirt trug. Vroni erzählte das Übliche: gänzlich außer Form, aber eine Alpenüberquerung vom Königsee nach den Drei Zinnen, das ging natürlich schon.

Was gut war: Trennung von Touris und Läufern auf der Insel ging schnell und glatt. Der ganze Lauf steht im Zeichen der Farben-Kombi Violett-Gold, auch das Eintrittsbändchen, das man um das Handgelenk trägt. Herzeigen – durchwinken – fertig.

Stressfrei auch das Ganze mit den Wechselklamotten. Gibt man mit dem Etikett seiner Startnummer ab. Die netten Frauen und Männer der Orga nehmen einem das ab. Passen darauf auf. Als umziehen und gut.

Was nicht so gut war: So weit hing mein Bauch noch nie über dem Startnummer-Band. Beim Warmlaufen die Ultra-Legende Theo getroffen. „Du hast auch kein Zuhause“, meinte er lachend. Naja, wenn ich ehrlich bin: Mein letzter Lauf ist schon eine ganze Weile her. Rimbachlauf, Oktober 2020!

Die Zeit vor dem Start war herrlich stressfrei. Auf der Wiese liegen, dösen, in die Sonne blinzeln, über den See auf die Berge schauen, ein bisschen Joggen, dehnen, mit anderen Läufern Unsinn quatschen. Urlaubsfeeling pur.

Ach ja: Georg plauderte mit der Verena, einem Lauftalent, das er angeblich selbst entdeckte. Leider läuft die Verena nicht mehr für uns. Kein Wunder, bei uns sind alle alt, verletzt, demotiviert oder schwanger. Am Ende wurde Verena Zweite bei den Frauen. Super.

Die Orga hatte das ganze Feld in fünf Blöcke eingeteilt. Michi, Georg, Theo und ich waren im Block C. Startzeit 15:50 Uhr. Was nicht so toll war: Moderator interviewt den Bürgermeister von Prien, Andreas Friedrich. Dass der den Startschuss gab, völlig okay. Nur das Gestammel über Nachhaltigkeit, Tourismus usw., das muss wirklich nicht sein.

Irritierend zudem: Jeder Lauf hat so einen typischen Einpeitsch-Song, einen Trade-Mark-Song. Die Orga-Leute vom Chiemseelauf konnten sich offenbar leider nicht entscheiden, welcher Titel das sein soll. Sie probierten einfach alles doch. Hells Bells, We will rock you, Time (Pink Floyd), fand ich etwas anstrengend.

Schöne Geste von Michi und Georg vor dem Start: Sie kamen eigens nach „hinten“ im Startblock, um mir einen schönen Lauf zu wünschen. Dann reihten sie sich dort ein, wo sie hingehören. Ziemlich weit vorne, sie hatten ja in Altötting schon gute Zeiten gelaufen.

Dann endlich Startschuss. Das Feld rauscht raus, nur ich bleibe fast hängen. Wollte den ersten Kilometer in 6:30 laufen. Davon kann keine Rede sein. Schon der erste Anstieg wurde zur Nahtod-Erfahrung. Theo humpelte erstaunlich flink davon. Schnappte nach Luft wie ein Goldfisch, die Beine bleischwer.

Nach dem ersten Anstieg schaute ich mich mal um. War Drittletzter der Startgruppe C. DRITTLETZTER! Mein Garmin zeigte Werte an, die ich öffentlich nicht nennen will. Scheiß auf den Garmin, scheiß auf die Pace. Einfach nur ankommen, mir ging es bei einem Lauf selten so schlecht.

Bei Kilometer 2 oder 3 liefen wir direkt am Schloss vorbei. Dort stand der Erwin Fladerer, der Mr. Laufzeitung. „Sauber, Martin“, rief er mir zu. Obwohl an meiner Performance wirklich nichts mehr sauber wahr. „Genieße es“, meinte der Erwin.

Genießen. Hörte sich gut an. Wenn das so einfach gewesen wäre. Bei Kilometer 5 hängte mich die Viertletzte, eine Omi mit Rucksack, gnadenlos ab. Bei Kilometer 6 stand für mich fest: Das ist mir zu hart, nach der ersten Runde höre ich auf. Ein DNF ist zwar peinlich, aber die Schinderei tue ich mir nicht an.

Wie es wohl dem Georg und dem Michi geht? So ab Kilometer 7 passierte etwas Wunderliches. Es ging mir besser, mir fiel auf, wie schön die Strecke ist. Ein schöner Wechsel zwischen Passagen im Wald, dann wieder eine lange Gerade in der heißen Sonne, direkt auf den See zu. Dann wieder einen Hügel hoch, es waren sogar ein paar Fans da. Dann wieder rund um das Schloss. Hat tatsächlich Spaß gemacht.

Ich schaffte es tatsächlich, auf zwei Läuferinnen aufzulaufen. Die zogen mich schön mit. Es stellte sich sogar eine Spur von Euphorie ein: Ich hatte die Omi überholt. Aufgeben war keine Option mehr. Ich wusste, ich schaffe es auch heute bis ins Ziel.

Die zweite Runde kam mir kürzer vor. Ich konnte noch laufen, die ersten gingen. Und es war einfach eine tolle, wellige Strecke. Der letzte Anstieg tat natürlich weh. Laut Strava hat der Lauf 260 Höhenmeter. Umso schöner dann der Zieleinlauf. Georg (1:47) und Michi (1:42) waren natürlich längst da. Brachten mir ein alkoholfreies Bier.

Dann der wirkliche Härtetest. Statt Duschen gab es nur den Chiemsee mit 17,5 Grad. Eine Frau im roten Bikini sprach mir Mut zu, den ich dringend brauchte. Also rein ins Wasser, schaffte aber nur ein kurzes Untertauchen. Hat sich aber gelohnt. Fühlte mich danach wunderbar frisch. Michi hat mir dann noch ein zweites Alkoholfreies organisiert. Solche Leute kann man brauchen!

Muss sagen: Die Rückfahrt mit dem Schiff Richtung Prien in der Abenddämmerung war geradezu kitschig schön. Die meisten Touris saßen da schon wieder vor der Glotze, die Läufer waren größtenteils unter sich.

Georg hatte dann noch die gute Idee, ins Weissbierbräustüberl in Obing zum Essen zu gehen. Location und die Sachen vom Grill waren wirklich famos. Wir entschieden uns für ein Entrecote und einen Spieß mit Shrimps. Die nette Kellnerin hat uns dazu die Fritten „just in time“ gebracht. Nach einem Lauf machen auch so kleine Dinge Freude.

Dessert wollten wir eigentlich keines. Aber der Blick auf das, was die Kellnerin an Süßem dem Nachbartisch brachte und Ihr Satz „das habt Ihr Euch doch heute verdient“, waren starke Argumente für einen Topfenpalatschinken. Auf der Heimfahrt Richtung Schwindegg meinte Georg, das sei wohl ein Super-Tag gewesen. Sein Fazit unterschreibe ich. Das außer uns noch der Rainer (1:44) für den SVS am Start war habe ich erst in der Ergebnisliste gelesen.

 

Gesamturteil Herrenchiemseelauf:

Pro:

  • Schöne, abwechslungsreiche Stecke
  • Orga trotz Corona-Auflagen ziemlich perfekt
  • Ergebnisse gibt es rasend schnell
  • Auch sehr langsame Läufer dürfen mitmachen
  • Man trifft dort Theo, den Fladerer und mich
  • Die Schifffahrt über den See ist ziemlich cool
  • Touris dürfen nicht auf die Strecke
  • Wer will, kann am Sonntag den zweiten HM laufen – und kommt somit auf einen Marathon
  • Null Asphalt
  • Immer schönes, warmes Wetter
  • Man kann danach in Obing toll Essen gehen

 

Contra:

  • Der Bürgermeister von Prien
  • Die Rede des Bürgermeisters von Prien
  • Startschuss von einem Freien Wähler (Bürgermeister von Prien)
  • Moderator interviewt Bürgermeister von Prien
  • Soundchaos vor dem Start
  • Lauf ist relativ teuer, Schifffahrt kostet extra
  • Wasser im See könnte wärmer sein
  • Man wird dauernd überholt
  • Strecke nicht Bestzeit-tauglich. Hügelig, Kies.
  • Stechmücken.
  • Viele Touris am Ufer und auf dem Schiff
  • Halbmarathon ist anstrengend. Irgendwie.

 

 

Text: Martin Armbruster
Fotos: Michael und Georg