Franziska holt den Pott

Franziska holt den Pott

  1. Gemeindelauf Niedertaufkirchen: Vier Schwindegger werfen sich in die Hitzeschlacht – Franziska Hacker siegt bei den Bambinis I.

 

Niedertaufkirchen? Nie davon gehört. Gemeindelauf? Was soll das sein? 6.300 Meter? Lächerlich. Man ist ja die City-Marathons gewohnt. Wir sind am 9. September trotzdem nach Niedertaufkirchen gefahren. Das Ganze hatte auch veranstaltungstaktische Gründe. Der Skiclub Niedertaufkirchen schickt uns in jedem Jahr zuverlässig eine Handvoll Starter für den Schlosslauf. Da war ein Gegenbesuch einfach fällig. Und natürlich hatten wir, so ganz PR-mäßig, unsere „Schwindegg läuft“-Shirts eingepackt.

 

Die Chrissi hatte sich samt Tochter schon früh angemeldet, Georg und ich zogen ein paar Tage später nach. Georg versicherte, Lauf und After-Run-Party seien dort richtig nett. Google lieferte einen euphorischen Medienbericht. Demnach ist bei dem Gemeindelauf „ein ganzes Dorf auf den Beinen“. Klang alles ziemlich gut. Nur warm war es an diesem Samstag, für September brutal warm. Und nicht ganz leicht, so hieß es, soll die Strecke sein.

 

Na, dann. Die Autofahrt war erfreulich kurz, der Georg fuhr, der kennt sich aus in der Region, soll dort aufgewachsen sein. Das erste, was wir sahen, ist der Kirchturm von Niedertaufkirchen. Dort liegen Start und Ziel des Rennens. Die ersten Hinweisschilder „6.300“ machten schon erschreckend deutlich, wo wir laufen werden und dass das Ganze hügelig wird.

 

Die ersten Eindrücke waren gut. Schön familiäre Atmosphäre, kurze Wege: Duschen, Umkleiden, Start- und Zielbereich liegen eng beieinander. Der erste Läufer, den wir trafen, war die Ultra-Legende Theo, wie konnte es auch anders sein. Theo hatte sich in eine Ecke mit Schatten verkrochen und klagte über Leistenprobleme. Er konnte eigentlich kaum laufen und schleppte sich trotzdem über die lange Strecke.

 

Die Begrüßung war so, wie sie sein soll. „Freut uns, dass Ihr da seid“, sagte Skiclub-Vorstand Karl Bischof. Auch sportlich hat der SV Schwindegg dann gleich mal ein Zeichen gesetzt. Beim Rennen der Bambini I hatte Franziska auf den 200 Metern alles im Griff. Sie hängte nicht nur alle Mädels ab, sondern versägte die Jungs gleich mit.

 

Danach ließ sich Franziska von ihrer Schwindegger Entourage (Mutter, Oma, Opa, zwei lahme Lauf-Onkels) schön feiern. Sie futterte eine Leberkäs-Semmel und aß anschließend der Chrissie ihre Fritten weg. Was Franziska auch gefiel: Bei der Siegerehrung ganz oben auf das Treppchen steigen und den Pokal abräumen.

 

Franziska legte die Latte so hoch, da ging es für uns nur noch um schönes Scheitern. Ihre Mutter Chrissi lief gut, verpasste aber mit Rang vier knapp den Sprung auf das Podium. Auch Pokal gab es keinen. Das eigentliche Drama – gut, so ein Irrer bei den Männern I lief die Strecke tatsächlich in 24 Minuten, aber wen interessiert das? – spielte sich bei den Männern II ab. Am härtesten gekämpft wird eben dort, wo es um nichts mehr geht: bei den Lahmen und Alten.

 

Erstes Opfer des Nervenkriegs war schon vor dem Start der Bernhard von der Laufzeitung. Bernhard erklärte, er habe an diesem Tag seinen 60. Geburtstag und wolle sich mit diesem Lauf quasi selbst beschenken. Deshalb verzichte er auf ein erneutes erbarmungsloses Duell (ich hatte ihn in Mettenheim gedemütigt). Er werde mit dem Theo laufen. Georg kultivierte das Understatement. Er gab „nicht Letzer werden zu wollen“ als Ziel vor.

 

Nun ist es in Niedertaufkirchen so: Da wird nicht Hells Bells vom Band gespielt, hier gibt es Punkt 15 Uhr echtes Kirchengeläut. Das dauert. Danach kommen Grußworte, die nett sind, die man aber akustisch nicht versteht. Da hat man Zeit, im Feld nach Opfern zu suchen. Mein Laser-Blick traf Erwin. Erwin schluckte, er wusste sofort, was ihm blüht. Zweimal wurde er bereits von mir in Mettenheim gedemütigt. Im Feld verstecken konnte er sich nicht. Weißes Shirt, schwarze Kompressionssocken, so kleidet sich leichte Beute.

 

Zur Strecke: Gestartet wird am Pfarrheim, dann folgt ein Links-Rechts-Schwenk, da wird noch ein bisschen gedrängelt – und dann geht es erstmal 500 oder 600 Meter abwärts. Leider wagte Erwin einen Fluchtversuch – und war erschreckend weit voraus. Danach der erste Anstieg, das war länger, steiler und heißer, als ich gedacht hatte. War oben völlig platt, und Erwin gab weiter Gas.

 

Wir überspringen jetzt die folgenden leicht welligen Kilometer. Irgendwo waren die Hobbyläufer auf die 3.100-Meter-Strecke (die Luschen) abgebogen. Konzentrieren wir uns jetzt auf die Schlüsselstelle – der letzte Getränkestand so bei Kilometer 5. Hitzeflimmern, mir war ziemlich flau, vor mir krochen zwei, und da war plötzlich Erwin!

 

Erwin blieb stehen und trank einen Becher Wasser – ein tödlicher Fehler. Okay, Durst hatte ich auch, aber statt trinken machte ich lieber Boden gut. Zwischen Erwin und mir lief noch Sabine, er war keine 50 Meter mehr weg. Es ging noch mal links leicht einen Hügel hoch, dann wieder rechts, da standen Leute von der Feuerwehr rum. Dann, Überraschung, von der Straße wieder runter auf einen Feldweg mit reichlich Gras.

 

Während wir ein Wäldchen umkurvten, überlegte ich mir, ob ich dem Erwin gleich das „L“ (Loser) zeigen soll oder doch besser sagen: „Geht schon noch“? Der Kirchturm war nahe, mir wuchsen Flügel – und dann kam er, der Schlussanstieg. Die Renn-Dramaturgie glich nun der Schlüssel-Szene aus dem Film „Full Metal Jacket“. Erwin ging, Sabine blieb stehen, hatte Probleme, mir gelangen noch Lauf-ähnliche Bewegungen, Puls laut Garmin 171. Alles im dunkelroten Bereich.

 

Wäre die Welt besser, hätte ich mich jetzt um Sabine gekümmert. Aber das „L“-zeigen (mieser Charakter) war mir wichtiger. Dummerweise lief Erwin wieder, ich torkelte hinterher. Irgendwie kamen wir diese verdammte Kuppe hoch. Ich schaffte es nicht mehr, den Bauch einzuziehen. Dabei wollte ich im Ziel richtig gut aussehen.

 

Auf den letzten Metern zeigte sich trotz akuter Atemnot und leichtem Schwindel, warum dieser Gemeindelauf treue Fans hat: Da ist echt Stimmung in der Bude, die Leute machen richtig mit. Hoffentlich kriegen wir so etwas auch mal in Schwindegg hin.

 

Zum Finale liefen wir noch eine kleine Schleife durch den Pfarrgarten. Erwin machte noch einen Fluchtversuch – und das klappte auch noch. Ich kam ich nicht mehr ran. Abstand elf Sekunden. Bitter, aber zumindest Sabine kamm gleich hinter mir und gesund ins Ziel. Es dauerte nicht lang, da war der Georg da – und wirkte noch richtig frisch. Den Rat des Skiclub-Chefs, gleich zum Duschen zu gehen, nahmen wir dankbar an. Noch nie war mein neues Laufshirt so schweißnass.

 

Die After-Race-Party in Niedertaufkirchen ist wirklich top. Man sitzt da sehr schön, es gibt alles, was man nach einem Lauf braucht: Kaffee, Kuchen, Käsekrainer, Bier (Erhartinger und noch ein anderes), Fritten, Steaksemmel, sogar eine „Goaßmaß“ schenken die dort aus. Man kommt da auch gut ins Gespräch. Skiclub-Mitglieder versicherten mir unter Tränen, sie hätten bei meinem Zieleinlauf zum ersten Mal eine Raum-Zeit-Krümmung mit eigenen Augen gesehen. Leider musste ich sie enttäuschen. Ich war tatsächlich so langsam.

 

Unsere Siegerin Fanziska bekam von diesem Elend nichts mit, futterte unbekümmert Chrissis Fritten. Wir dagegen mussten in der Niederlage Größe zeigen. Am Veranstalter lag es nicht. Der Gemeindelauf in Niedertaufkirchen lohnt die Anfahrt. Nächstes Jahr sind wir da wieder dabei. Erwin kann sich schon mal frisch machen!

  1. Gemeindelauf Niedertaufkirchen, die Schwindegger Ergebnisse:

 

Bambini I 200 Meter

  1. Platz Franziska 54,8 Sekunden.

 

Hauptlauf 6.300 Meter. Damen II

Rang 4, Christina 33:53

 

Herren II

Rang 18 Martin 37:10

Rang 25 Georg 42:10

 

Wertung Gemeindelauf Niedertaufkirchen

 

Pro:

  • Gut gefülltes „Goodie-Bag“
  • Familiäre Atmosphäre
  • Gute Stimmung bei Start und Ziel
  • Abwechslungsreiche und fordernde Strecke
  • Fairer Preis
  • Kirchengeläut statt Hells Bells
  • Goaßmaß im Ziel
  • Viele Pokale
  • Keine Dudelmusik
  • Strecke super ausgeschildert
  • Zwei Getränkestationen

 

Contra:

  • Fieser Schlussanstieg
  • Wetter war zu heiß
  • Werner war zu schnell
  • Feld nimmt keine Rücksicht auf Übergewicht und Alter
  • Viele Grußworte
  • Gleiche Startnummerfarbe für Hauptlauf und Hobbylauf. Macht es schwierig, Luschen zu erkennen

 

Martin Armbruster