Projekt 2:59

Projekt 2:59

Warum nur scheitern, wenn man versagen kann? Wolfgangseelauf 2019: Traumhafte Bedingungen, zwei Schwindegger Läufer beweisen, dass jeder Mensch enge Grenzen hat.

Auch wenn solche Laufberichte keine Sau interessieren, sie müssen sein. Aus therapeutischen und pädagogischen Gründen. Damit das ja keiner nachmacht. Die Veranstalter-Homepage für den Wolfgangsee wirbt trügerisch mit Herbstidylle. Aber die Strecke hat es in sich. Das Rauflaufen zum Falkenstein (220 Meter) ist ebenso hart wie der folgende Downhill.

Beim Rennen 2018 erlebten der Weiße Keniate (DWK) und ich einen schweren Einbruch bei km 20. Wir kamen mit 3:06 und 3:07 ins Ziel. So langsam wollten wir nie wieder sein. Klare Vorgabe für den Wolfgangseelauf 20. Oktober war dann auch 2:59:59. Wir wollten die 3-Stunden-Marke endlich knacken. Für den sportlichen Erfolg wollten wir uns fürstlich belohnen.

Wir wollten uns dann je einen der spießigen Nadelstreifen-Schlafanzüge kaufen, die Georg auf seinen Reisen rund um die Welt trägt – und damit zum Pizza-Essen ins Da Nino gehen. Nun wissen selbst wir, dass sich Bestzeiten nicht programmieren lassen. Als Minimal-Ziel haben wir folglich die Richtzeit von 3:05 vorgegeben, um uns danach eine Pizza im Da Nino in Jeans und T-Shirt zu gönnen.

Alle anderen Szenarien hielten wir für völlig unvorstellbar. Bei schlechteren Zeiten wollten wir noch im Ziel die Laufschuhe verbrennen. Allerdings gab es Zweifel schon in der Vorbereitung.

Ähnlich wie sein schwarzer Landsmann Eliud Kipchoge vor Wien, bereitete sich der DWK akribisch auf St. Wolfang vor. Letzer Mann beim Schlosslauf, beim Halbmarathon in Altötting völlig abgeschmiert, letzter Mann beim Rimbachlauf – man darf da von einer stabilen Formentwicklung sprechen.

Wir haben nun vom DWK Ausreden in allen Facetten gehört. Die jüngste lautet: „Kann meine Leistung aus dem Training im Wettkampf nicht abrufen.“ Es ist nun so, dass wir diese Trainingsleistungen kennen. Ich frage mich dann schon, was der Mann eigentlich abrufen will.

Gut, wir sind zwei Wochen vor St. Wolfgang tatsächlich 28 km mit 300 Hm gelaufen. Ging ganz gut. Beim letzten Testlauf eine Woche vor dem Start habe ich keine 16 Kilometer geschafft – und bin dann heimgegangen. Jeden normalen Mensch hätte das ins Grübeln gebracht, aber wir wollten diese Schlafanzüge, ganz unbedingt!

Vor dem Rennen gab es noch die altväterlichen Hinweise von Georg: lange Läufe machen, den Falkenstein bloß nicht zu schnell angehen, Vorsicht beim Runterlaufen. Als ob wir das nicht wüssten! Bei der Fahrt Richtung Österreich haben wir im Auto lange über die Renntaktik diskutiert. Die Pacevorgaben klangen so plausibel, da konnte eigentlich nichts passieren.

Unterwegs haben wir noch den Bernd aufgegabelt. Eine verlorene Seele. Läuft viel und schnell, schafft es aber seit Jahren nicht, in St. Wolfgang seine Traumzeit von 1:59 zu erreichen. Da fehlt halt das letzte Quentchen Training und Strategie. Bernd hatte nicht mal Gels dabei. Aber auch die Teilnahme solcher Amateure gibt Volksläufen ja ihren besonderen Reiz.

Mit der uns eigenen Mischung aus Arroganz und Routine haben wir am Samstag die Startunterlagen abgeholt. Ja, ich habe Männer mitleidig belächelt, die nur eine blaue Nummer (10km) bekamen. Gelangweilt haben wir dann noch mit einigen Ausstellern die Marathon- und Trailrun-Termine 2020 erörtert. Wer, wie wir, top-trainiert ist, wird halt ständig angesprochen.

Die übliche Pasta-Party haben wir boykottiert. Zu viel Trubel, zu viele Anfänger, zu viel Nervosität. Andi hat dem Bernd großzügig zwei Gels überlassen. Auf der Fahrt zur Pizzeria in Strobl erster intensiver Kontakt mit der Bevölkerung. Ein älterer Mann mit Seppl-Hut wälzte sich im Straßengraben. Zum Glück rasche Entwarnung: „Hob a bisserl zviel trunken, muhaha“ Half ihm wieder auf die Beine, wollte mich fast abbusseln vor Freude.

Den Abend vor dem Lauf vielleicht eine Spur zu lässig genommen. 2, 3 Bier, Fußball geschaut, Zwischenzeiten ausgerechnet. Spätestens nach 42 Minuten wollten wir nach dem Falkenstein bei km 6 sein. Am Renntag selbst vielleicht auch eine Spur zu überheblich, zu arrogant. Nach dem Startschuss eine gewisse Ernüchterung. Meine Beine fühlten sich scheiße an.

Nun ja, dafür wollten wir klüger laufen als 2018. Wir hatten 4 Gels dabei. Beim Anstieg zum Falkenstein sehr auf den Puls geachtet, auch beim Runterlaufen nicht überzogen. Zwei gestürzte Läufer mit blutigen Händen und Armen locker überholt. Trotzdem das km6-Schild erst nach 48 Minuten erreicht. Die 2:59-Pacerin bereits weit enteilt.

Und noch schlimmer: Fühlte mich schon jetzt völlig im Eimer. Freudige Erwartung, vor uns lagen nur 21 Kilometer Kriecherei. Da helfen auch 100 Gels nichts. In St. Gilgen starb beim Blick auf meine Pulswerte jede Hoffnung. Schon jetzt wirkten kleine Anstiege wie Hochgebirge. Oh, Gott, und es ist noch so weit!

War nur eine Frage der Zeit, bis mich der DWK kassiert. Komischerweise kam der aber nicht. Was etwas tröstete: Denen um mich rum ging es auch nicht besser. Bei km 15 war mir klar, dass die 2:59 und der Schlafanzug Lichtjahre entfernt waren. Es war klar, dass mir der DWK heute wieder das „L“ für Loser zeigen würde.

Das Blöde am Laufen ist, dass man wohl aus Gründen des Selbstschutzes immer wieder vergisst, wie hart die Schinderei ist, wenn es nicht mehr läuft. Bei km 16 immer wieder der Blick nach hinten. Der DWK wollte das Feld von ganz hinten aufrollen, aber da rollt anscheinend nichts. Irgendwo bei Km 17 gibt es einen Stigl-Bierausschank. Da stand der Typ mit Filzhut, der gestern noch im Graben lag. Wenigstens dem geht’s gut. Bier schmeckt wieder.

Bis km 19 noch der Gedanke, bloß die Blamage in Grenzen halten. Wir hatten dem Bernd gesagt, wir seien etwa nach 3 Stunden im Ziel. Der kann lange warten. Das herrliche Herbstwetter, die schönen Blicke über den See – nichts vermochte mich aufzuheitern. Mir fiel ein Graffiti-Spruch ein, den ich in München gelesen hatte: „Aufgeben ist keine Option.“

Also weiter. Vom DWK weiter nichts zu sehen. Bei Km 23 ging es auf dieses endlose Asphalt-Band Richtung Ziel. Die Zeit war schon lange wurscht. Hauptsache, weiter joggen. Irgendwie habe ich es dann bis zur 26 Kilometer-Marke geschafft. Da hängt ein großes Transparent mit der wichtigen „1“.

Und muss sagen: Selten haben sich die 1.000 Meter so elend lang angefühlt. Die letzten 500 Meter kam sogar etwas wie Euphorie auf. Da waren tatsächlich noch viele Fans. Trotz allem ein schöner Moment. Endzeit: 3:23. Der DWK kam nach 3:36 ins Ziel. Bernd war schon nach 2:03 da. Wir haben uns die Schlafanzüge nicht verdient. Wir waren zu müde, um unsere Laufschuhe zu verbrennen.

Die Heimfahrt war menschlich schwierig. Bernd nervte: „Da hatte ich einen schwachen Kilometer. Nur 4:39. Ansonsten 4:21, 4:19“ und blablabla. Der DWK schwieg lange. Ich sagte: „Dass man so unfassbar schlecht sein kann.“ Der DWK meinte, er wolle nie wieder das Wort „Marathon“ hören. Er habe das Projekt vorläufig aufgegeben. Die Betonung liegt auf vorläufig. Die Story wird weitergehen.

Wertung Wolfgangseelauf

Preis-Leistung:
Wer rechtzeitig bucht, ist mit 29 Euro für die klassische Strecke 27 km dabei. Gemessen an dem, was geboten wird, ist das super.
10 Punkte

Organisation:
Anmeldung, Startnummer-Ausgabe, Nachmeldung – alles tadellos. Das einzige, was man verbessern könnte: Auch einen Pace-Maker für Schwindegger. So um die 3:30. Abzüge auch für eiskalte Duschen und skandalös, dass es für Läufer mit Schwindegger Zeiten im Ziel kein Bier mehr gab.
8 Punkte

Wetter:
Herrliche Sicht, Sonne, toller See, nicht zu warmes Wetter. Alles perfekt.
10 Punkte.

Strecken:
Die 27 km sind auf alle Fälle kultig. Eine Seeumrundung ist für einen Lauf immer genial, der steile Anstieg auf den Falkenstein gibt dem Ganzen eine Extra-Würze. Wenn man da an die Steigung hinläuft und sieht, wie die Läufer da wie Ameisen hochkriechen, sagt man automatisch: Bist Du deppert.
10 Punkte

Erlebniswert:
Da gehört der Wolfgangseelauf zum Feinsten, was man machen kann. Toll ist, dass 5 km, 10 km, 27 km und Marathon zur Auswahl stehen. Man kann also sehr gut, die Family oder weniger fitte Freunde mit dahin nehmen. Auf den kurzen Strecken ist schon die Fahrt mit dem Schiff zu Start ein Erlebnis. An die langen Strecken wird man sich automatisch erinnern. 10 Punkte

Atmosphäre:
Gehört zu den Top-Läufen. Viele Gänsehaut-Momente. Etwa wenn vor dem Start der 27-Km-Läufer schon die ersten Marathonis durch St. Wolfgang rauschen. Herrliche Bild, wenn die 27-KM-Läufer in drei Wellen auf die Strecke gehen. Per Böllerschüsse hört man, wenn der erste Läufer auf dem Falkenstein ist und die Läufer auf den kurzen Strecken an den Start gehen. Orga gibt sich viel Mühe, auch für Stimmung auf der Strecke zu sorgen. Läufer werden dreimal namentlich erwähnt: in St. Gilgen, bei 17 km und in Strobl. Live-Musik an der Strecke – und was wirklich stark ist: Selbst die letzten Läufer, die reinkommen, werden echt noch angefeuert. Gänsehaut-Moment auch beim Blick auf die Ergebnisliste. Kann ein Mensch so langsam sein?
10 Punkte.

Teilnehmerfeld:
Alles dabei, vom Gelegenheits-Jogger über Superläufer bis hin zu größenwahnsinnigen Schwindeggern. 10 Punkte.

Suchtfaktor:
Hoch, da Streckenführung sehr speziell. Gehört zu den Läufen, die man mal gemacht haben muss. Und klar: Man will da nochmals hin und seine Zeit verbessern. 10 Punkte.

Menschen:
Man sieht wenig Ösis wegen 100.000 Touristen. Die, mit denen man es zu tun hat, äußern sich durchaus zynisch. Der Typ etwa, der für die Kleidersäcke verantwortlich war, fragte, ob wir im See noch baden wollten. Wir ja schon zuvor beim Laufen baden gegangen. Abends gilt besondere Vorsicht. Da liegen betrunkene Ösis neben der Straße.
6 Punkte.

 

Text: Martin

Bild: Orga Wolfgangseelauf