Dorfen Stadtlauf: Es läuft wieder
Stadtlauf Dorfen: David Stadler Dritter auf 5-KM-Strecke
Klar, es wird sonnig, vor mir liegt ein herrlicher 3. Oktober. Gleichwohl leide ich unter der typischen Vor-Wettkampfs-Depression. Wie kann man nur so blöd sein, nach dem unterirdischen Halbmarathon auf Herrenchiemsee sich gleich wieder für den Stadtlauf Dorfen anzumelden?
Ja, wie kann man nur. Ohne den dämlichen Lauf könnte ich lange ausschlafen, üppig frühstücken, lange Zeitungsberichte über den dämlichen Laschet lesen. Zeit vertrödeln. So aber: Wieder ständig auf die Uhr gucken. Georg holt mich schon um 8:30 Uhr ab, weil sich David nachmelden muss.
Missmutig trinke ich meinen Kaffee, haue mir zwei Scheiben Toast mit Honig rein. Ich weiß ja, was kommt. Eine elende Schinderei.
Theoretisch könne man einfach langsam Durchjoggen. Aber das geht nur theoretisch. Völlig blamieren will man sich auch nicht. Eine Zeit unter einer Stunde sollte es schon sein.
Georg kommt pünktlich, ist nervig gut gelaunt. Logisch, der läuft auch weiter vorne mit, der hat ernsthaft trainiert. Ich finde alles schrecklich. Mein Gott, jetzt kommt auch noch die Sonne raus!
Wir sind früh in Dorfen, bis zum Start haben wir reichlich Zeit. David tritt nach längerer Wettkampf-Pause mal wieder über die 5 Km an. Sein Nachmelden, unsere Startnummer-Ausgabe, alles geht angenehm stressfrei von der Hand. Für den üblichen Panik-Toilettengang vor dem Start muss man nicht in der Schlange stehen.
Danach kommt mir ein prickelnder Gedanke: Ich könnte das Rennen schon vor dem Startschuss aufgeben. Voller Neid schaue ich auf zwei Helfer, die sich zum Cappuccino zwei Croissants reinziehen. Wie gerne würde ich jetzt mit denen tauschen!
Kleiner Lichtblick in meiner Depression: Eine blonde Frau am Schalter für die Nachmelder lächelt mir aufmunternd zu. „Es wird wieder schlimm heute“, sage ich. „Ach, das gehört doch dazu“, antwortet sie, „das tut einem doch auch gut“. Ihr Zuspruch wirkt für etwa zehn Sekunden.
Voller Mitleid beobachte ich die Amateure, die für die Startnummer Sicherheitsnadeln brauchen. Der ernsthafte Läufer, der Marathoni, der Routinier hat selbstverständlich ein Startnummernband in der Tasche.
Auf dem Platz vor dem Jakobmayer ist richtig was los. Richtig erfrischend nach der bleiernen Corona-Zeit. Kann 170 gehen auf die 10-Kilometerstrecke, rund 180 sind es auf der kurzen Distanz. Stark. Macht Freude, so viele Läuferinnen und Läufer zu sehen.
Eine Trainerin vom Dorfener Fit-and-Fun macht für die Starter eine halbe Stunde vor dem Start ein nettes Aufwärm-Hüpf-Programm. Mir ist das zu viel gute Laune. Ich weiß ja, was kommt. 10 Kilometer ist eine harte Sache.
Ein bisschen Joggen, ein paar Steigerungsläufe, das sollte reichen. 10 Minuten vor dem Startschuss reihe ich mich in das locker aufgestellte Feld ein. Mit zwei, drei Mitläufern rätsele ich, ab welchem Punkt die Zeitmessung tatsächlich beginnt. Ihr wisst ja: Ich will unter eine Stunde, da zählt jede Sekunde.
Da ist zwar so eine rote 10-KM-Linie, aber kein Zeitnahmebalken. Naja, wird schon klappen. Die Dorfener haben mit dem Gerd Hänsel immer einen Top-Moderator am Start. Der Bürgermeister, der Grundner Heinz, labert auch irgendetwas, fasst sich aber erfreulich kurz.
Und dann ist er auch schon da, der Countdown. Ich habe einen neuen Plan: nach der ersten Runde aufgeben. Dann schießt das Feld auch schon raus. Anders als auf Herrenchiemsee komme ich ganz gut auf die Strecke. Es läuft irgendwie, es fühlt sich wieder wie richtiges Laufen an.
Ich bin nicht alleine, habe ein paar Läuferinnen und Läufer um mich herum, ich überhole sogar ein paar. Kurz nach dem Schild für Kilometer zwei mache ich eine verblüffende Erfahrung. Der Lauf macht Spaß. Echt, kein Scheiß. Das Wetter ist herrlich, die Temperatur schön kühl, und es geht mir gut.
Kurz danach kommen mir schon die Spitzenläufer vom Wendepunkt entgegen. Wahnsinn, sind die schnell! So zehn, fünfzehn Meter vor mir läuft einer mit knallig gelbem Trikot. Den mache ich zu meinem Pacemaker, die Zwischenzeiten auf dem Garmin frustrieren doch bloß.
Georg kommt mir im SV-Schwindegg entgegen. Er ist ziemlich weit vorne im Feld. „Martin, Du Tier“, ruft er mir zu. Da kommt zum Glück auch schon die Wendemarke. Der Gelbe ist schon fast zum Greifen nah.
Jetzt kommt der schönste Abschnitt der Pendelstrecke – der herrliche Blick auf die Läufer, die mir entgegenkommen, die tatsächlich noch langsamer sind. Schwupp, da sind wir schon am Kilometer drei vorbei, wobei mir das Ganze schon nicht mehr so leicht fehlt, jetzt beginnt die Beißerei.
Tapfer bleibe weiter ich an dem Gelben dran. Was richtig schön ist: Am Orteingang ist eine richtige Stimmungsinsel, die klatschen da ununterbrochen, spielen coole Musik. Das gibt für drei- oder vierhundert Meter wieder richtig Schub.
Ja, und da steht er dann, mein Hardcore-Fan. Ein Typ aus Armstorf mit grauem Bart. War früher ein super Läufer, hat aufgehört wegen Knieproblemen. „Mein Gott, was ist denn das für eine Zeit? Gib endlich Gas“, ruft er mir zu. Gas geben. Wenn ich könnte, würde ich ja. Immerhin der Gelbe ist nicht weit weg.
Jetzt geht es einmal ums Eck und dann wieder durch den Start- und Zielbereich auf die Runde Nummer zwei. Mental ist das schon ziemlich hart. Könnte gut aufhören jetzt. Die große Uhr im Ziel zeigt irgendetwas mit 29 Minuten an. Könnte sich also ausgehen mit der Zeit unter einer Stunde.
Statt aufgeben also neuer Plan: Den Gelben einholen, überholen, demütigen. Leider setzt der sich jetzt Meter für Meter von mir ab. Bei Kilometer sechs denke ich mir: Was für eine Quälerei. Georg kommt mir wieder entgegen, ruft mir zu, der Wendepunkt komme gleich. Und, was für ein Glück, da ist er tatsächlich schon.
Zweieinhalb Kilometer noch. Die Gewissheit macht das jetzt erträglich. Die warme Sonne scheint mir ins Gesicht, ich schwitze wie verrückt. Am Ortseingang wartet mein Hardcore-Fan auf mich. „Zieh durch! Gleich hast Du es.“ Und da steht tatsächlich die „9“. Oh, wie schön! Nur ein Kilometer noch.
Diese Tausend Meter machen wieder Freude. Der Gelbe ist zwar weg, aber einen Läufer mit Sparkassen-Trikot überhole ich noch. Ich hatte vergessen, wie schön ein Zieleinlauf ist, wie gut sich das anfühlt. Jetzt, hier in Dorfen, erlebe ich es. Ich gucke auf die Uhr: 57:27. Wunderbar. Was für ein schöner Sonntag.
Georg war natürlich mit 48 irgendetwas schon lange im Ziel. Wir gönnen uns ein Bier und ein Paar Weißwürste. Derweil ist das zweite Feld auf der 5-Kilometer-Runde unterwegs. Die ersten beiden Läufer fliegen fast ins Ziel. Knapp dahinter kommt auch der David in gut 20 Minuten rein.
Wir sind alle drei voll zufrieden. Und alles fühlt sich nach dem Wettkampf ziemlich großartig an. In diesem Moment möchte ich mit keinem Ordner, Fan oder sonst wem tauschen. War ein toller Lauf. Absolut empfehlenswert.
Gesamturteil Stadtlauf Dorfen:
Pro:
- Guter Moderator, kennt sich aus
- Musik besser als auf Herrenchiemsee
- Ist nicht weit weg, man ist schnell da.
- Auch sehr langsame Läufer dürfen mitmachen
- Nach dem Wendepunkt läuft man an den Versagern vorbei, die noch langsamer sind. Sehr motivierend.
- So gut wie keine Höhenmeter. Man könnte Bestzeiten laufen
- Schönes Wetter, ideale Lauftemperaturen auf der 1. Runde.
- Höhe des Startgeldes ist fair.
- Zielverpflegung vom Tagwerk in Dorfen
- Keine Steckmücken, keine Touris.
- Die nette blonde Frau am Nachmelde-Schalter.
- Bürgermeister redet nicht viel.
Contra:
- After-Run-Brotzeit. Weißwürste waren lauwarm.
- Die Strecke bis zum Wendepunkt. Man sieht leider, wie viel schneller und viel weiter die anderen sind.
- Vereinzelte demotivierende Zurufe aus dem Fan-Block.
- Es dauert, bis die Ergebnisse online sind.
- Vor dem Lauf war es ein Tick zu kalt
- Auf der zweiten Runde war es ein Tick zu warm
- Erschreckend viele im Feld hatten vorher trainiert.
- Aufwärmprogramm mit zu viel Gute-Laune-Power
Text: Martin Armbruster